Als wir uns zum ersten Mal begegneten filmten wir beide ein Konzert auf einem Gipfel der Dolomiten. Es war 6 Uhr morgens, eiskalt und ich fingerte hilflos an meinem klemmenden Stativ herum. Kurt Moser, der sympathische Fotograf neben mir, half mir mit einem Stativ aus und später, in einer Drehpause, erzählte er mit von seinem schier unglaublichen Projekt. Ich war mir nicht sicher, ob ich es hier mit einem Spinner oder einem Genie zu tun hatte. Aber eines war klar: dieser Mann ist Fotograf aus Leidenschaft. Und er verfolgte seine Ziele gegen alle Widerstände.
Bilder für die Ewigkeit mit Ambrotypie
Irgendwo in einem italienischen Hinterhof hatte er vor Jahren eine Ambrotypie-Kamera von 1907 gefunden und wollte mit ihr die Berge der Dolomiten fotografieren. Eigentlich habe er nicht die Kamera gefunden, sondern sie ihn, sagte er. „Ich fand die Kamera einfach schön, wusste in drei Sekunden, dass ich die haben muss.“ Er kaufte das fast zwei Meter große Holzgerät und schleppte es nach Bozen, ohne zu wissen, was er damit anstellen soll. Erst zu Hause stellte er fest: Ach herrje, für diese Kamera gibt es gar keine Filme! Fortan verbrachte er über Wochen und Monate viele Stunden in der Dunkelkammer und versuchte, ein Foto im Ambrotypie-Verfahren herzustellen. Kein einziges sei ihm gelungen, erzählt Kurt. Er sei fast verzweifelt. Aber er sagte sich: „Hey, die haben das 1850 geschafft, warum sollte ich das nicht schaffen?“ Und hielt durch, bis die ersten Bilder im Atelier gelungen waren.

Nun also wollte er mit seiner Monsterkamera die Berge der Dolomiten fotografieren. Auf Glas. Mindestens 1 Meter mal 1,50. Man muss wissen, dass diese Technik dem Fotografen einiges abverlangt. Und zwar vor Ort, in unwegsamen Gelände, mit einer urschweren Kamera und einigen Kanistern Chemikalien und Silberlösung, um das Foto dort auch gleich zu entwickeln. Anders ginge es nicht. Maximal wäre 1 Foto pro Tag zu schaffen, erzählte Kurt mir damals. Wie gesagt: ich war skeptisch.

1 Jahr nach unserer ersten Begegnung treffe ich Kurt in den Dolomiten wieder und begleitete ihn, sein ‚Baby‘ – wie er die Kamera nennt- und seine Assistentin hinauf in die Berge. Wir fahren in einem alten Kastenwagen, der vorne rappelt und hinten ein mobiles Labor birgt, das aussieht wie eine Hexenküche und genauso riecht. Er sei schon einmal darin ohnmächtig geworden erzählt Kurt und lacht. Einfach umgefallen, zwischen Entwicklerflüssigkeit und Silber. Rums. Zum Glück war er nicht allein.

Wie kommt ein 50 jähriger erfolgreicher Kameramann auf so eine verrückte Idee? Wohlgemerkt: Kurt hat das nie als Hobby gesehen. Er hat alles andere hinter sich gelassen. Den ehemaligen Auftraggebern und Kunden Adieu gesagt. Für immer. Ganz oder gar nicht, sagt er.
Von den Krisengebieten in die Stille der Berge
Kurt Moser hat zuvor jahrzehntelang in Krisengebieten fotografiert und gefilmt. Gefragt war er. Schnell musste es immer gehen. Zwischen Scharfschützen und spielenden Kindern, Bomben und Feldlazaretten, Schergen und Tyrannen galt es, eine möglichst große Anzahl von Bildern zu schiessen im wahrsten Sinne des Wortes. Die dann, einmal ausgestrahlt, in den Archiven der Sender verschwanden. Auf Nimmerwiedersehen. Soviel Tränen, soviel Schweiß, soviel Risiko.
Kurt spricht nicht gern von seinen Gefühlen. Aber wenn er von seinen Einsätzen erzählt, ganz sachlich, verrät ein leichtes Vibrieren seiner ansonsten so tiefen und festen Stimme unausgesprochene Erinnerungen, die er vielleicht lieber vergessen würde, erzählt von Todesangst und Grauen, von Vergänglichkeit und Verwesung.

Die Dolomiten hingegen stehen da seit Jahrtausenden, strahlen Unvergänglichkeit und Sicherheit aus. Felsmassive von Bestand. Irgendwann fällt dann ganz beiläufig dieser Satz:
„Das war alles mal unter Wasser. Und jetzt schau diese massiven Gebilde an: gebaut von Milliarden klitzekleiner Korallenwesen. Ist das nicht irre? Man ist so klein hier oben. Das ist es vielleicht, warum ich das tue. Man vergisst einfach den Rest der Welt.“
Wenn er ein Motiv gefunden hat verbringt er Stunden damit, das richtige Licht abzuwarten, die Kamera einzustellen, das Objektiv auszusuchen. Jedes Steinchen, Jedes Spiel mit Licht und Schatten will Moser festhalten, am liebsten für die Ewigkeit. Mindestens 800 Jahre haltbar sind seine Fotos auf Glas. Das ist ihm wichtig. Nachhaltigkeit und Sicherheit in einer Welt voller Vergänglichkeit und Verunsicherung.

Ja, verrückt sei das schon, gibt Kurt zu. Aber er wisse genau, was er tue. Fast zwei Jahre experimentiert er nun schon mit der alten Kamera, hält jedes Detail, jede Lösung und jede Sekunde Belichtung in einem kleinen Büchlein handschriftlich fest. Wie ein Koch auf der Suche nach neuen Rezepten. Und wenn er heute mit wirrem Haar und schweißnasser Stirn kurz vor dem Auslösen neben seiner Kamera vor einem Felsmassiv steht, ist all sein Mühen, sein jahrelanges Probieren in diesem Moment präsent.

Jetzt.
Er atmet tief ein, atmet aus, zieht die tellergroße, schwarze Objektivkappe ab und zählt die Sekunden der Belichtungszeit, bevor er sie wieder schließt. Dann bleiben ihm genau fünf Minuten, um das Bild zu entwickeln. Er rast mit der Platte quer über die Almwiese in sein mobiles Labor. Man hört es gluckern und knacksen, klicken und rauschen. Und dann kommt er raus. Während das Abendlicht die Zacken der Geislergruppe gerade in Zartrosa taucht, erscheinen sie auf der schwarzen Platte überirdisch schön in Schwarz-Weiß. Dieses eine Foto wird für immer ein Unikat sein. Es kann nicht vergrößert oder verkleinert, nicht vervielfältigt und nicht bearbeitet werden. Es bleibt, wie es ist. Und es wird im Museum für Fotografie in Berlin, außerdem in New York und London ausgestellt werden.
Mehr zu Kurt Moser erfährst du hier
Zur Seite von Kurt Moser/ The Lightcatcher kommst du hier
Ausstellungstermine:
London 28. Nov. bis 03. Dez. 2020: cryptgallery. org
Innsbruck 16. bis 19 jan 2021 in: www.art-innsbruck.at
Bruneck / Italien bis April 2021 in: http://www.lumenmuseum.it
2 Kommentare zu „Bilder für die Ewigkeit“