Die Angst in der Kunst

Ein Interview mit Frau Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg

Als ich Katharina Domschke zum Interview getroffen habe bin ich einer fröhlichen, offenen und attraktiven Frau begegnet, die viel und gerne lacht. Das ist nicht unbedingt das, was man mit ihrem Forschungsgebiet verbindet: Angst und Depression.

Katharina Domschke ist Lehrstuhlinhaberin für Psychiatrie und Psychotherapie in Freiburg. Sie hat in Deutschland, Irland und den USA Medizin und Psychologie studiert und zum Dr. med. sowie PhD promoviert. Nach Stationen in Bonn, Münster und Würzburg wurde sie 2016 nach Freiburg berufen. Frau Prof. Dr. Dr. med. Domschke wurde mit einer Vielzahl nationaler und internationaler Forschungspreise ausgezeichnet und ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. In den letzten Jahren hat sie sich darüber hinaus der Angst in der Kunst gewidmet und 2019 ein Buch darüber veröffentlicht: Die Angst in der Kunst – Ikonografie einer Grundemotion

Gitti Müller: Frau Domschke, Sie sind eine führende Ärztin und Forscherin auf dem Gebiet der Angst. Warum haben Sie sich nun der Spurensuche von Angst in der Kunst gewidmet?

Oft sind Ängste nämlich wortwörtlich „unaussprechlich“ schrecklich. Und da kommt die Kunst ins Spiel. Welches Medium wäre besser geeignet, die verschiedenen Dimensionen der Angst zu visualisieren, anschaulich zu machen, im Wortsinn begreifbar und damit unmittelbar erfahrbar werden zu lassen, als die bildende oder gestaltende Kunst?

Katharina Domschke: Bei der Diagnostik und Behandlung von Angsterkrankungen spielt das Wort eine große Rolle – Patientinnen und Patienten berichten über ihre Symptome, und in der Psychotherapie wird neben praktischen Übungen viel über die Erkrankung gesprochen. Daher zählen Psychiatrie und Psychotherapie auch zu den Disziplinen der sogenannten „Sprechenden Medizin“. Allerdings ist die Dimension des Sehens, des Hin-Sehens, des Beobachtens im Sinne einer „betrachtenden Medizin“ nicht minder bedeutsam im Kontakt mit den Patientinnen und Patienten. Oft sind Ängste nämlich wortwörtlich „unaussprechlich“ schrecklich. Und da kommt die Kunst ins Spiel. Welches Medium wäre besser geeignet, die verschiedenen Dimensionen der Angst zu visualisieren, anschaulich zu machen, im Wortsinn begreifbar und damit unmittelbar erfahrbar werden zu lassen, als die bildende oder gestaltende Kunst? Die Kunst kann einem sozusagen die Augen öffnen für die Angst in uns selbst, in unserem Gegenüber und in unserer Gesellschaft.

Gitti Müller: Wie sind Sie – ganz konkret – auf die Idee gekommen, ein Buch über Angst in der Kunst zu schreiben? Was erhoffen Sie sich davon in Bezug auf die Wahrnehmung von Angst in unserer Gesellschaft?

Diese – wenn man so will – Schärfung unserer Sinne für Angst und Angsterkrankungen soll letztlich zur Prävention und Entstigmatisierung der Angst in unserer Gesellschaft beitragen.

Katharina Domschke: Mit dem Thema Angst im Kopf, das mich eben in meinem professionellen Alltag klinisch wie wissenschaftlich beschäftigt, habe ich in den letzten ca. zehn Jahren bei Besuchen von Museen oder Galerien immer wieder Kunstwerke entdeckt, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Daraus entstand eine wachsende virtuelle Sammlung von über 70 Gemälden und Zeichnungen, Skulpturen und Installationen, die ich dann letztlich in Buchform zusammengefasst habe. Entlang der Kunstwerke und ihrer kunsthistorischen Einbettung werden die Leserinnen und Leser in diesem Buch eingeführt in die verschiedenen Facetten der Angst, beginnend mit der Angst als Grundemotion in der Gesellschaft, Philosophie und Religion über die körperlichen und kognitiven Symptome der Angst, die realen, berechtigten und überlebensnotwendigen Ängste und die Angsterkrankungen bis hin zur pharmakologischen und psychotherapeutischen Behandlung der Angst. Diese – wenn man so will – Schärfung unserer Sinne für Angst und Angsterkrankungen soll letztlich zur Prävention und Entstigmatisierung der Angst in unserer Gesellschaft beitragen.

Gitti Müller: Inwieweit ist Angst ein Thema, das uns alle beschäftigt?

Katharina Domschke: Angst ist zunächst einmal etwas ganz normales und sogar lebensnotwendiges: Angst befähigt über alle Spezies hinweg zur sogenannten ‚fight-, flight- oder freeze-Reaktion“, die das Überleben sichert. Mit Angst kann man aber auch Geschäfte machen, Angst kann als Herrschaftsinstrument missbraucht werden. Angst kann Flügel verleihen, Angst kann aber auch lähmen und zur Erkrankung werden. Und schließlich: die Angst vor Erkrankungen und dem Tod geht uns alle an.

Gitti Müller: Negatives wird ja gern ausgeblendet. Warum ist es wichtig, dieses starke Gefühl Angst anzunehmen und zu verstehen?

Katharina Domschke: Zum einen – wie ja oben schon angedeutet – weil Angst ein entscheidendes Alarmsystem ist, das uns vor Gefahren warnt. Und zum anderen, weil das bessere Verständnis der Angst, gerade einer Angst, die sich vielleicht schon verselbständigt hat oder gar quälend geworden ist, dazu beitragen kann, besser mit ihr umzugehen und damit Angsterkrankungen zu verhindern bzw. diese schnell in den Griff zu bekommen.

Gitti Müller: In der Kunst können Gefühle, die oft unaussprechbar sind, Ausdruck finden. Wie kann das helfen oder konkreter wie macht die Psychiatrie sich dies nutzbar in der Behandlung von Angsterkrankungen?

Katharina Domschke: In der Psychiatrie ist die Kunsttherapie als komplementäre Therapie neben der Pharmako- und der Psychotherapie fest etabliert. Dort können die Patientinnen und Patienten ihre Gefühle und eben auch die Angst gestalterisch ausdrücken, was häufig noch einen anderen Zugang erlaubt als das gesprochene Wort.

Gitti Müller: Was empfehlen Sie sorgevollen oder ängstlichen Menschen als Prophylaxe gegen eine Angsterkrankung?

Auch gilt: „Keine Angst vor der Angst“, d.h. geben Sie sich nicht in die Hände Ihrer Angst, lassen Sie sich die Zügel nicht aus der Hand nehmen, vermeiden und verpassen Sie ihr Leben nicht wegen der Angst.

Katharina Domschke: Grundsätzlich sind eine vernünftige Work-Life-Balance, eine gesunde Schlafhygiene, regelmäßige sportliche Betätigung und stabile soziale Strukturen gute Maßnahmen für den Erhalt der psychischen Gesundheit. Auch gilt: „Keine Angst vor der Angst“, d.h. geben Sie sich nicht in die Hände Ihrer Angst, lassen Sie sich die Zügel nicht aus der Hand nehmen, vermeiden und verpassen Sie ihr Leben nicht wegen der Angst. Stellen Sie sich immer wieder den gefürchteten Situationen oder Themen und lernen dabei, daß Sie die Angst bewältigen können. Wenn das allerdings nicht mehr gut nicht gelingt, ist professionelle Unterstützung zu empfehlen, die psychotherapeutisch und/oder medikamentös rasch und nachhaltig helfen kann.

Gitti Müller: Vielen Dank für das Gespräch Frau Domschke.

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Veröffentlicht von Gitti Müller

Gitti Müller ist Buchautorin und Filmemacherin aus Köln. Für ihre Reportagen erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Sie selbst bezeichnet sich als Globetrotterin und Storytellerin aus Leidenschaft. http://de.wikipedia.org/wiki/Gitti_Müller www.gitti-mueller.de

4 Kommentare zu „Die Angst in der Kunst

  1. Guten Tag Frau Müller.

    Ich habe meine Angst
    zeitlebens
    nicht in den
    Griff bekommen

    sie ist meinem Wollen
    übermächtig
    kein Zauber
    noch eine Kunst

    von wahrhaft
    Geplagten
    die sich
    in einem
    schöpferischen
    Prozess mit ihr
    beschäftigten

    sie wenn möglich
    erfolgreich
    zu bannen

    zu wissen ihr
    in einer Handhabe
    sie in das eigene Da
    einzubetten

    sie bleibt
    stärker als ich
    mit allem Bemühen

    ich will sie
    so wie sie mir
    Ereignis meiner
    Lebenserfahrung ist

    so gut ich dem
    vermag und kann
    ertragen

    Herzliche Grüße
    Hans Gamma

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    1. Lieber Hans Gamma, vielen Dank für das Poem. Möchten Sie es gern als Kommentar veröffentlichen oder sind sie selbst Autor und möchten es als einen eigenen Beitrag auf meinem Blog veröffentlichen? Wenn es ein eigener Beitrag in der Rubrik Poesie sein soll brauche ich ein paar Eckdaten zu Ihrer Vita und vielleicht einen link zu ihrer Website wenn Sie mögen. Sagen Sie doch bitte Bescheid, gern auch an : sayana@email.de, herzliche Grüße, Gitti Müller

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      1. Liebe Frau, Gitti Müller.

        Herzlichen Dank für Ihre Antwort. Ich habe nicht mit Ihrer Aufmerksamkeit auf meinen Kommentar gerechnet. Ich bin 74 Jahre alt, mir scheint mein Lebenslauf gar unwichtig. Sie dürfen meinen Text so benutzen, wie Sie es als nützlich erachten. Gerne bin ich bereit, ganz persönlich auf Ihre Fragen die Sie mir stellen wollen zu antworten.

        Herzliche Grüße
        und frohe Weihnachten

        Hans Gamma

        h.gamma@hispeed.ch
        http://hansgamma.blogspot.com

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